„Der Himmel ist offen“ von Matthias Drobinski
Staunen ist ein Risiko. Wer staunt, steht erst einmal dumm da: mit aufgerissenen Augen, offenem Mund und hängenden Schultern, erstarrt. In diesem Moment sind all seine Souveränität und Selbstsicherheit dahin. Das Wort kommt vom schweizerischen „stunen“ und bedeutet: starr blicken, erstarren. Wer staunt, ist aus dem Gleichgewicht, hilflos gegenüber dem Unerhörten und unfähig, es in Worte zu fassen. Er ist ergriffen und irritiert vom Fremden, das da gerade auf ihn einstürzt. Uncooler geht es gar nicht. Der Staunende wird zum großäugigen Kind. Bei Erwachsenen ist das immer etwas peinlich.
Anders aber ist der Panzer der Wirklichkeitsverkürzung nicht zu durchbrechen, der den Staunenslosen auf sich selbst reduziert. Wer staunen können will, muss sich angreifbar machen, sich treffen lassen, muss die Wahrheiten, die er mit sich durchs Leben führt, als vorletzte sehen lernen. Wer sich im Besitz der ewigen Wahrheit wähnt, ist so wenig staunensfähig wie jener, der sein Leben aufs Nächstliegende und Offensichtliche beschränkt. Staunen ist immer auch ungläubiges Staunen, das Gewissheiten über den Haufen wirft und ins Stottern bringt, die allzu genau wissen, wie das geht mit dem Glauben. Das Staunen ist der Feind der religiösen wie der politischen Fundamentalisten, weil es ihnen sagt: Es gibt mehr, als dein Weltbild glauben machen will.
Die Weihnachtsgeschichte ist auf dieses irritierende, unbändige Staunen hin angelegt, das die Konventionen sprengt und das Gewohnte durcheinander wirft.
Mehr Mut zum Staunen, das wäre ein schönes Weihnachtsgeschenk: mehr Mut, sich berühren zu lassen von etwas, das größer ist als man selbst, als die eigene kleine Egozentrik, der eigene Horizont, das eigene Wissen. Der Himmel ist offen, wenn man lernt, ihn offen zu sehen, ob religiös oder nicht. Und dann ist „Boah ey“ tatsächlich einer der Namen Gottes.